Im Stadtarchiv München sind zwei kurze Filme ohne Ton überliefert, von denen einer den Titel „Abbruch der Synagoge 1938“ trägt. Andrea Löw und Kim Wünschmann analysieren diese bewegten Bilder der Zerstörung der Münchner Hauptsynagoge. Als stolzes Symbol jüdischen Lebens wurde die Synagoge in den 1880er Jahren im neo-romanischen Stil in der Nähe zu Karlstor und Stachus erbaut. Die Filme transportieren ein bestimmtes Narrativ von einem Gewaltakt als städteplanerischer Baumaßnahme. Sie müssen kontextualisiert werden mit Fragen nach der Beteiligung von Behörden in Land und Kommune sowie beauftragten Unternehmen. Wir reagierte die Jüdische Gemeinde München und was lässt sich über die Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit sagen?
Prof. Dr. Andrea Löw ist stellvertretende Leiterin des Zentrums für Holocaust-Studien am Institut für Zeitgeschichte in München und lehrt an der Universität Mannheim. Sie ist Autorin zahlreicher Publikationen zur NS-Judenverfolgung besonders im besetzten Polen.
Dr. Kim Wünschmann ist Direktorin des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden und lehrt am Fachbereich Geschichte der Universität Hamburg. Ihr Buch Before Auschwitz. Jewish Prisoners in the Prewar Concentration Camps, 1933–1939 erschien 2015 und wurde mit dem Yad International Book Prize for Holocaust Research ausgezeichnet.
Veranstaltet vom Verein zur Förderung der Bet Tfila e. V. in Kooperation mit der Bet Tfila – Forschungsstelle für jüdische Architektur in Europa und der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Niedersachsen-Ost e. V.
Foto: Stadtarchiv München

Der Vortrag erläutert mit vielen Briefzitaten und Fotos, warum die Braunschweiger Malerin und Kunstförderin Galka Emmy Scheyer in den unbesiedelten Hügeln von Hollywood ein Haus mit Gemäldegalerie bauen ließ. Es bot Platz für Ausstellungen der Maler Lyonel Feininger, Alexej von Jawlensky, Wassily Kandinsky und Paul Klee. Galka Emmy Scheyer hatte sie in Deutschland kennengelernt und zur Gruppe „Blaue Vier“ vereinigt. Sie verstand sich nicht als Kunsthändlerin mit kommerziellen Interessen, sondern als Vermittlerin, Botschafterin und Missionarin der europäischen Moderne. Sie war Jüdin und erlebte 1933 Hitlers Machtübernahme in Berlin. Um ihre Arbeit in Amerika weiterführen zu können, beauftragte sie den österreichischen Architekten Richard Neutra mit dem Bau eines geeigneten Hauses. Er war wie sie Jude im Exil und ein Wegbereiter, bekannt für seine lichtdurchfluteten Villen mit wohltuendem Bezug zur natürlichen Umgebung.1936 wurde der Stahlskelettbau durch eine Dachwohnung für Gäste erweitert, der Architekt Gregory Ain plante und baute sie. Galka Emmy Scheyer empfing in ihrem sensationellen Zuhause Marlene Dietrich, Greta Garbo und andere Prominente und versuchte, sie für die moderne Malerei zu begeistern. Langfristig lohnte sich ihre Mühe!
Mehrere hoch- und spätmittelalterliche Gebäude bilden den Wohn- und Handelskomplex am heutigen Benediktsplatz in Erfurt. Barbara Perlich berichtet in ihrem Vortrag Auszüge aus dem gleichnamigen Buch (Bet Tfila-Schriften, Bd. 11, Imhof-Verlag 2019), u. a. verdeutlich sie die Baugeschichte dieses heute stark verdichteten Quartiers, dessen Gründungsbauten bis in das 12. Jh. zurückverfolgt werden können. Neben der reinen Wohnnutzung ergaben sich Hinweise auf ein durch jüdische Bauherren errichtetes Kaufhaus, und, völlig überraschend, der Nachweis eines in der Mitte des 13. Jh. eingerichteten jüdischen Betraums, dessen Ausmalung weitgehend erhalten ist.
Häuser stellen beliebte Kulissen für Familiensagas und Generationenerzählungen dar. In ihrem Vortrag geht Sonja Dickow der Frage nach, was passiert, wenn Häuser selbst zu den Hauptfiguren der literarischen Texte werden und angesichts der jüdischen Geschichte des 20. Jhs. ihre Funktion als Orte der Beständigkeit verlieren und unheimlich werden. Anhand von Beispiellektüren aus dem Buch "Konfigurationen des (Zu-)Hauses. Diaspora-Narrative und Transnationalität in jüdischen Literaturen der Gegenwart" (J. B. Metzler-Verlag, 2019) beleuchtet der Vortrag, wie die Gegenwartsromane ausgerechnet anhand der Immobile über Flüchtigkeit, Mobilität und Mehrfachverortung reflektieren und welche alternativen Orte der Zugehörigkeit die Protagonistinnen und Protagonisten errichten.
Im Mittelpunkt des Pesachfestes, das alljährlich im Frühjahr, am 15. Nissan begangen wird, steht das Gedenken an die wundersame Befreiung aus der ägyptischen Knechtschaft: "An diesem Tag erzähl deinem Sohn: Das geschieht für das, was der Herr an mir getan hat, als ich aus Ägypten auszog," heißt es im Buch Exodus. In dieser Auflage, die Geschichte der Befreiung an die nächste Generation weiterzuleiten, liegt ein prägnant didaktisches Element, das dem Ritual, welches im Familienkreis gefeiert wird, zugrunde liegt. Seit dem späten 13. Jh. beschäftigt sich die jüdische Kunst vielfach mit der Haggada, dem liturgischen Text, der das Fest begleitet. Der Vortrag zeigt, wie die besonders im 15. Jh. entwickelten Illustrationsprogramme der Haggada in Ashkenas diese didaktischen Funktionen wahrnahmen.
Die Profanbauten des Architekten Constantin Uhde (1836–1905) prägen auch
heute noch das Städtebild seiner Heimatstadt Braunschweig. Seine Sakralbauten – die Neue Synagoge in Braunschweig (1873–1875), die Synagoge in Wolfenbüttel (1893) und der Entwurf für eine Synagoge in Dortmund (1896) – sind zerstört bzw. blieben unausgeführt. In ihrem Vortrag widmet sich Dr.-Ing. Chr. Krafczyk dem Schaffen des Braunschweiger Hochschullehrers, der ebenso durch sein umfassendes publizistisches Werk Bedeutung für die Bewertung der Architektur des Historismus gewonnen hat.
Das Bild der christlichen Legendenfigur des Ewigen Juden Ahasver ist heute stark geprägt durch seine Verwendung in der antisemitischen Propaganda der Nationalsozialisten. Angesichtes dieser ideologischen Vereinnahmung scheint es kaum vorstellbar, dass sich jüdische Künstler mit der Figur beschäftigt haben. Doch zu Beginn des 19. Jahrhunderts machten zahlreiche deutsch-jüdische Autoren Ahasver zum Protagonisten ihrer Dichtungen und Romane. Seit dem späten 19. Jahrhundert setzten sich dann auch namhafte bildende Künstler jüdischer Herkunft in Deutschland und Osteuropa mit dem Ewigen Juden auseinander und schufen durch ihre Umdeutungen eine vielschichtige jüdische Identifikationsfigur. Dieser Entwicklung wird Dr. Lea Weik anhand zahlreicher Bildbeispiele nachgehen.
Schlesien gehörte zu den wichtigsten mitteleuropäischen Regionen synagogaler Architektur im Mittelalter und im 19. Jahrhundert. Von etwa 100 schlesischen Synagogen, die bis 1938 bzw. 1940 (polnisches Oberschlesien) existierten, überdauerten etwa 15 Bauten. In seinem Vortrag analysiert Dr. Kos anhand von ausgewählten Beispielen schlesischer Synagogen die Geschichte und den aktuellen Zustand dieser Baugattung.
Ausstellung, Filmvorführung und Buchpräsentation der »Spring School Tel Aviv« im Rahmen der Vortragsreihe der Bet Tfila – Forschungsstelle für jüdische Architektur in Europa im Ausstellungspavillon der Technischen Universität Braunschweig.
Sephardische Juden waren die ersten Synagogenbauer in Amerika, aschkenasische Juden folgten und spätestestens Mitte des 19. Jahrhunderts waren zahlreiche Bauten entstanden. Aufgrund der in der Verfassung garantierten Religionsfreiheit konnten die Juden ihre Gotteshäuser freier gestalten als in Europa. Mit wachsender Immigration, vor allem aus deutschsprachigen Ländern, entwickelte sich im Synagogenbau architektonischer Ehrgeiz – beeinflusst durch neue Ideen zur Liturgie, Design und neuen Materialien. Diese Entwicklung wurde ab den 1880er Jahren durch osteuropäische Einwanderer in Frage gestellt. Die Themen Orthodoxie, Stil und Moderne prägten die Diskussionen zwischen den Weltkriegen, während in jüngster Zeit Mischehen, ethnische Identifikation und Post-Moderne die Architektur beeinflussen.
Gedruckte Kochbücher im Allgemeinen sind im Allgemeinen seit langem bekannt, doch explizit jüdische Kochbücher finden sich erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts als im Zuge der Verbürgerlichung und Emanzipation der deutschen Juden bzw. der Verstädterung viele lokale Traditionen beginnen verloren zu gehen. Heirat zwischen Juden und Christen sowie die Auflösung traditioneller religiöser Bindungen erzeugten Mischformen von Rezepten, wenn etwa nichtjüdische Speisen an jüdische Vorschriften angepasst werden – z.B. das nichtkoschere Gericht "Birnen Bohnen und Speck" in den östlichen Provinzen Preußens. Die Emigration der 30er Jahre hat viele Dokumente jüdischen Lebens in die Diaspora verlagert und somit oft erhalten. Auch viele Kochbücher und Rezepte haben für lange Jahrzehnte in Schränken und Schubladen in New York und anderswo gelegen und kommen jetzt, mit der Auflösung der Haushalte der Emigranten durch die Enkel, ans Licht.
Für die jüdische Geschichte in Mitteleuropa stellt die Zeit des Überganges von der Antike zum Mittelalter ein Vakuum dar. Es fehlen aus mehreren Jahrhunderten sowohl historische Quellen als auch archäologische Funde, um diese Periode beschreiben zu können. Im Vortrag soll versucht werden, einerseits die Lücke zu definieren, andererseits aber auch geprüft werden, ob es indirekte Zeugnisse vor allem aus dem Bereich der Archäologie gibt, die neue Einsichten zu diesem Desiderat vermitteln können.
Die Entdeckung der reichen Ausmalung der Synagoge in Dura Europos, das älteste erhaltene jüdische Gotteshaus der Welt, veränderte die jüdische Kunstgeschichte auf entscheidende Weise. Die archäologischen Funde im "Pompeji der Syrischen Wüste" enthüllen ein detailiertes Bild des Alltagslebens. Sie zeigen die Verschmelzung der griechischen mit der semitischen Kultur und den beiden monotheistischen Religionen: dem Judentum und dem gerade entstehenden Christentum. Angesichts dieser Funde war die Wissenschaft gezwungen, sich der Erforschung der religiösen, sozialen und kulturellen Hintergründe dieser abgelegenen Gemeinde zu stellen und die Vorstellungen einer Koexistenz und einer gegenseitigen Toleranz in der griechisch-römischen Welt neu zu definieren.
Wer hätte gedacht, dass Adolf Hitler persönlich eine Synagoge unter Denkmalschutz gestellt hat? Und doch ist dies 1938 bei der mittelalterlichen Synagoge im österreichischen Bruck a. d. Leitha geschehen. Fehlinterpretationen haben in der Vergangenheit immer wieder für Debatten und kuriose Fälle bei der Identifikation jüdischer Architektur gesorgt. Archäologen, Bauforscher oder Kunsthistoriker sehen sich gerade im Hinblick auf Bauten und Befunde aus der Antike und aus dem Mittelalter wiederholt mit dem Problem konfrontiert, ein Bauwerk als "jüdisch" zu verifizieren. Im Vortrag sollen aktuelle und historische Fallbeispiele vorgestellt werden, bei denen solche Zuweisungen zu mitunter seltsam anmutenden Interpretationen und Thesen geführt haben.
Mehr als Zwiebeltürmchen und vergoldete Kuppeln... In seinem Vortrag nimmt Dr. Levin das Publikum mit zu den zahlreichen sakralen aber auch profanen Bauwerken, die russische Auftraggeber im Heiligen Land zwischen der Mitte des 19. und dem Beginn des 20. Jahrhunderts errichtet haben. Hinter den Fassaden sucht er Zusammenhänge zwischen Bauaktivität und politischen Zielen aufzuzeigen und somit die Rolle der russischen Architektur im politisch-ideologischen Wettstreit mit den europäischen Mächten, anderen christlichen Kirchen sowie auch mit den orthodoxen Mitstreitern in Palästina darzustellen.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war Jerusalem ein Schmelztiegel verschiedenster architektonischer Einflüsse. Christliche Kirchen aus aller Herren Länder hatten schon seit dem 19. Jahrhundert. versucht, sich mit ihren Bauwerken einen Platz im Heiligen Land zu sichern. Die jüdischen Einwanderungswellen und der Aufbau eines jüdischen Staates mit Jerusalem als angestrebte Hauptstadt brachten neue Ideen nach Erez Israel. Klimatisch angepasste Bautraditionen und lokale Materialien wie der Jerusalemer Kalkstein regten die Architekten zu unterschiedlichen Adaptionen europäischer und orientalischer Vorbilder an. In den späten 20er und in den 30er Jahren entwickelte sich ein Formenrepertoire, das man als spezifische Jerusalemer Moderne bezeichnen kann – zwischen "orientalischem Art deco", "Bauhaus" und "International Style".
Jerusalem – religiöses Zentrum und Wohnstätte von Juden, Christen und Muslimen zugleich – war in seiner Geschichte mehrfach umkämpft. Die Anfänge der Stadt liegen in der Zeit weit vor den biblischen Königen Salomon und David und der Errichtung des Tempel auf dem Berg Moria im 10. Jh. v. Chr. Seither prägten verschiedene Herrscher und Geschlechter – wie die Israeliten, Babylonier, Römer, Araber, Osmanen – die Stadt und ihre Bauten. In seinem Vortrag nimmt Ronny Reich die Besucher mit auf eine Reise durch Jerusalem und 3.000 Jahre seiner Geschichte, die sich in archäologischen Schichten widerspiegelt.
Das 19. Jahrhundert stellte die Blütezeit der europäischen Synagogen dar. Im Zuge der Aufklärung hatten politische, soziale und wissenschaftliche Neuerungen zu einer verbesserten gesellschaftlichen Situation der Juden geführt, die ihren Ausdruck in einer Neugestaltung der Synagogen fand. Von den einfachen, außen meist schlicht gestalteten Synagogenräumen vollzog sich eine Wandlung des Synagogenbaus im Streit zwischen Orthodoxie und Verbürgerlichung.